MUTausbruch Auswandern: Meine Übersiedlung in die Schweiz wird volljährig
Drei MUTausbrüche haben mein Erwachsen-Sein geprägt. Über zwei davon habe ich auf meinem Blog bereits geschrieben: meine beiden Haarspenden und meinen (Um)Weg zur Veganerin. Meinen eigentlich allerersten MUTausbruch hatte ich mit gerade mal Mitte 20, als ich beschloss, dass ich meine Heimatstadt verlasse und mein Glück ausserhalb des mir Bekannten suchen gehe.
Da war ich mutig - eine Blogparade von Esther Nogler hat mich dazu verleitet, nun auch diese Erfahrung für dich (und für mich zur Erinnerung) niederzuschreiben. Viel Spass dabei.
Der Juli ist seit vielen Jahren für mich immer ein ganz besonderer Monat: Anfang 2006 hatte ich einen Entschluss gefasst und bereits im Juli des gleichen Jahres Deutschland verlassen, um in die Schweiz auszuwandern. Allein. Nur mit meiner damals 3-jährigen Katze.
Das ist nun genau 18 Jahre her.
Damals 26-jährig wollte ich einfach nur raus. Ich wollte die Welt sehen, aus dem Hamsterrad aussteigen und völlig neu und anders leben. Viele nannten mich damals mutig. Einige behaupten das heute noch von mir. Vielleicht trifft es naiv jedoch besser.
Ich sehe es noch genau vor mir: Es ist Januar 2006. Ich stehe am Fenster meines Bastelzimmers, das eher einer Rumpelkammer ähnelt, und schaue dem Schneetreiben im Garten zu. Er wirbelt herum und bleibt nirgends liegen. Ungefähr so fühlt sich auch mein Innerstes an. Aufgewirbelt. Durcheinander. Rastlos. Und diese eine Frage hämmert in meinem Kopf: Wird mein Leben von jetzt an jeden Tag so ablaufen? Aufstehen, zur Arbeit gehen, mich mit Freunden treffen, am Wochenende feiern gehen und am Montag wieder von vorn?
Ich muss hier raus! Ich werde gehen! Ich glaub, ich wandere einfach aus!
Da war er auf einmal, dieser Gedanke, dieser Funken, der in meinem ganzen Körper ein Feuerwerk anzündete. Es war beschlossene Sache. Ich wandere aus. Wohin? Sch****egal!
Ich machte mir keine Sorgen, einen neuen Job zu finden. Das Gefühl von Urvertrauen, Sehnsucht und Freiheit liess gar keinen Raum für Angst oder Zweifel zu. Ich wollte raus. Ich wollte weg. Ich wollte das Unbekannte, das Ungewisse.
Okay - ganz so ungewiss war es Ende nicht. Mein damaliger Arbeitgeber war weltweit aufgestellt, sodass ich mich überall in der Welt bewerben konnte. Ich konnte mir Italien, Frankreich, England und damals sogar Russland vorstellen. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass es die Schweiz werden würde.
Bereits nach 3 Monaten Suche hatte ich die Zusage für eine Stelle in der Schweizer Niederlassung. Noch bevor ich offiziell anfangen sollte, wurde ich zum Team-Event eingeladen und mit dem Nidlenloch im Weissenstein und Meringue, einer Schweizer Tradition als Nachtisch, vertraut gemacht.
Zu meiner Abschiedsfeier am 14. Juli 2006 sind über 60 Leute gekommen. Schulkameraden, Studien- und Arbeitskollegen, Freunde, Nachbarn, meine Familie - alle waren da.
Damit ich mich nicht einsam fühle in der Fremde, habe ich als Abschiedsgeschenk eine Schneiderpuppe geschenkt bekommen. Harry (so hab ich ihn getauft) hat mir noch viele Jahre treu gedient, obwohl ich ihm immer nur Frauensachen angesteckt habe.
Keine zwei Wochen später kam der Möbelwagen und ich schlief die letzte Nacht im Schlafsack auf dem Boden meiner Wohnung in Dresden. Meine Mama war noch lange da. Wir haben geredet und geweint. Mir drückt es schon wieder die Tränen in die Augen, wenn ich an diesen letzten Abend denke.
Ich hatte mir Winterthur als neue Heimatstadt ausgesucht. Nur ungefähr 20 Minuten Autofahrt von meinem neuen Arbeitsort entfernt, nahe an Zürich und wunderbar grün. Die Fahrt von Dresden nach Winterthur verlief komplett reibungslos. Auch meine Katze auf der Rücksitzbank in ihrem Transportkörbchen mauzte kein einziges Mal. Allerdings hab ich dann in der Nähe von Winterthur die falsche Ausfahrt genommen und musste mitten im Berufsverkehr einmal quer durch die ganze Stadt. Zu meinem Übergabetermin für meine süsse kleine Wohnung kam ich dadurch fast eine halbe Stunde zu spät.
Meine innere Ruhe und die Gewissheit, dass alles gut kommen wird, hat sich komplett auf meine Katze übertragen. Sie war neugierig und vollkommen wohl in ihrem neuen Zuhause. Und wieder schlief ich eine Nacht auf dem Boden in meinem Schlafsack. Der Möbelwagen würde erst am nächsten Tag meine Einrichtung und damit auch mein Bett liefern.
Weiter oben habe ich geschrieben, dass ich meine Auswanderung eher naiv als mutig sehe. Das liegt daran, dass ich ziemlich schnell gemerkt habe, dass ich mir in einem anderen Land ein neues Hamsterrad erschaffen habe. Denn ich habe vom Prinzip her nur das Land gewechselt, mir eine neue Wohnung und einen neuen Job gesucht und jede Menge neue Menschen kennengelernt.
Doch so wirklich interessant und neu war ich nach 6 Wochen schon nicht mehr. Ich hatte mich nämlich ziemlich schnell an die neue Kultur und die Sprache gewöhnt. Montag bis Freitag war ich von 8 bis 6 im Büro und danach auf ein (oder zwei) Feierabendbier mit Kollegen und/oder neuen Bekannten und am Wochenende haben mir meine neuen Freunde die Schweiz gezeigt oder ich war ausgiebig wandern.
Eigentlich der gleiche Trott in einem anderen Kleid.
Zurückgehen kam dennoch nicht infrage für mich. Ich wusste einfach, dass diese Entscheidung für mich die Richtige war. Dadurch, dass ich jeden Tag etwas Neues lernte und sah, wurde es nie wirklich langweilig.
Mittlerweile wohne ich schon lange nicht mehr in Winterthur. Der Liebe wegen bin ich an den Bielersee gezogen und hier fühle ich mich mehr als daheim, ich fühle mich angekommen.